Advent 2025
Heute hat der Chorleiter, ein junger Mann mit schwarzen Locken und Gitarre, erzählt, wie das vor 5 Jahren während der Coronapandemie war: Keine Chorproben, überhaupt kein gemeinsames Singen. Es gab keine Weihnachtskonzerte oder Adventsfeiern, nicht im Theater, nicht in der Kirche und auch nicht in der Schule. Privates gemeinsames Singen war verboten wegen der hohen Ansteckungsgefahr. Da das Corona-Virus sich über die Atemwege verbreitete, mussten wir alle, große und kleine, Mund-Nasen-Masken tragen, durften nicht verreisen und unsere Verwandten nicht besuchen. Es gab keinen Sport, kein Kino, kein Theater und schon gar keine Weihnachtsmärkte. Keine Trompetenklänge an Heilig Abend, keine Kinderchöre im Advent und keinen feierlichen Chorgesang an Weihnachten.
„Tja, kleine Maus, wir waren alle verstummt – die Kinder und auch die Erwachsenen. Es war das Jahr, in dem Du geboren wurdest: mitten in der 2. Welle der Pandemie. Auch zu Deiner Geburt gab es kein Ständchen – viel zu gefährlich!“
„Statt zu singen, schmückten wir unsere Häuser noch mehr als in den Vorjahren und die Wohnviertel waren wie verzaubert, wenn am Abend überall die Weihnachts-beleuchtung eingeschaltet wurde. Die Kinder spazierten mit ihren Eltern durch die Straßen und bestaunten die fantasievollen Lichterfiguren.“
„Aber Oma, wie hat das Christkind denn die Wünsche der Kinder gehört?“
Sie schüttelt verwirrt ihre kastanienbraunen Locken. Die Mütze hat sie natürlich längst schon wieder ausgezogen.
„Herr Thiel sagt, wenn wir singen, öffnen wir unsere Herzen so weit, dass das Christkind jeden unserer noch so geheimen Wünsche hören kann.“
„Auch in 2020 gab es ein Weihnachten", antworte ich ihr, „Es war nicht so grell und so laut wie sonst. Die Menschen kamen zur Ruhe und beschäftigten sich mehr mit sich selbst und ihren Liebsten. Sie wurden feinfühliger und achteten mehr auf einander.“ Die Erinnerung an dieses bizarre Jahr mit seinen Lockdowns, Kontaktbeschränkungen, Beherbergungsverboten, Maskenpflicht und all den Ängsten und der Trauer unter den Betroffenen, der Einsamkeit unserer alten Menschen und dem Verzicht auf liebgewonnene Traditionen überrollt mich mit einem Mal so heftig, dass mir die Tränen in die Augen treten.
Mein kleiner Engel greift mit den kalten Fingerchen – die Handschuhe hat sie natürlich auch mal wieder vergessen – nach meiner Hand und drückt sie liebevoll.
„Nicht weinen, Oma, Du hast doch mich!“
„Ja, mein Schatz, und das ist das Wichtigste. Und das war es auch damals, während der Pandemie. Die Kinder waren am wenigsten betroffen. Das Virus machte einen Bogen um sie. Und so waren die Erwachsenen gezwungen, nach vorne zu schauen, ihren Kindern eine fröhliche und unbeschwerte Weihnachtszeit zu ermöglichen. Sie beschäftigten sich auf einmal viel mehr mit ihren Kindern, es gab keine Kita, die Schule fiel meistens aus, keine Sport- Musik- oder Spielgruppen. Gespielt wurde zuhause, mit Eltern und Geschwistern und man hatte viel Zeit einander zuzuhören.“
„Wie toll, wenn der Papa auch mal mehr Zeit hätte, mit mir Fußball zu spielen oder einen Film zu gucken …“ Sie hüpft den Bordstein auf und ab und trällert „Ihr Kinderlein kommet“.
„Und das Beste war, dass die Eltern Zeit hatten, in die Herzen ihrer Kinder zu schauen und so ihre Wünsche fast so gut wie das Christkind erfüllen konnten.“ Ich setze meine Erklärung fort während das kleine Zappelwichtlein mich singend und springend um die nächste Hausecke zieht.
Die Antwort auf ihre anfängliche Frage interessiert sie nicht mehr sonderlich. Sie hat an einer Hauswand eine Weihnachtsdekoration mit Nikolaus auf der Leiter entdeckt und schmettert mit solcher Stimmgewalt, dass der Nikolaus die kleine Sängerin auf keinen Fall wird überhören können: „Lasst uns froho uhund munter sein …“
Bild und Text: Elfriede Lenzen
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